Lysistrata: Keine LUST! Null Bock!

6. April 2006

Zur Erheiterung von uns Frauen fordern jetzt sogar schon die Bischöfe und Kardinäle dauernden Geschlechtsverkehr. Damit endlich was hängen bleibt, wie meine Zimmerwirtin aus den fünfziger Jahren sich auf gut hamburgisch auszudrücken pflegte („Schon beim ersten Mal ist die Helga hängen geblieben, ne. Mal schnell Verkehr auf dem Balkon, ne.“ ). Aber dieses Ergebnis ist schon wegen der zunehmenden Spermienmüdigkeit bei den westlichen Männern gar nicht mehr drin.

Warum geraten nur alle (Männer) in Panik?
Fürchten sie, dass ihnen bald niemand mehr etwas kocht, die Strümpfe wäscht, für sie einkaufen geht?
Warum sollten die Deutschen aussterben? Frankreich ist von der Fläche her um ein Drittel grösser (543.000 km2 ) als Deutschland (357.000 km2) und hat 20 Millionen Einwohner weniger (60 Millionen). Finnland (338.000 km2) hat nur 5 Millionen aber, wie alle Welt inzwischen weiss, die besten Schüler.
Warum redet niemand über die Vorteile einer geringeren Bevölkerung?
Von Gras überwucherte Autobahnen, nachwachsende Urwälder, überflutete Elbwiesen, regionaleres Einkaufen, die Ostsee ein Abenteuerurlaub für einen Münchener, weniger befahrene Strassen, auf denen Kinder wieder spielen können. Warum glaubt kaum jemand an die Selbstregulierung, ein reicheres Arbeitsleben, eine geschütztere Umwelt? Plattenbauten werden immerhin schon jetzt abgerissen, manche Grosstädte verkaufen kein Bauland mehr für Supermärkte auf der grünen Wiese, um sie in den Innenstädten zu halten.
Die Rente!!!??
In der Diskussion werden Kinder hauptsächlich wie Nachschub oder Ersatzteillager behandelt. Was man selber nicht mehr kann, sollen Kinder später schaffen. Weiter geht offenbar das Interesse an ihnen nicht. Warum sollten Frauen das bedienen? Normalerweise arbeiten sie auch im Alter noch, wenn auch unbezahlt. Irgendwie werden sie schon zurecht kommen. Viel Rente haben die meisten schon jetzt nicht.
Natürlich wird es Engpässe und Unsicherheiten und echte Probleme geben. Aber Unsicherheiten und echte Probleme gibt es auch bei Atomunfällen, Hungersnöten, Umweltkatastrophen und Kriegen. Nur wurden die menschengemachten Katastrophen bisher nicht von Frauen verursacht (Jaja, nicht, weil sie besser, sondern nicht in den Entscheidungsgremien sind). Die Frauen im Gebärstreik erinnern alle anderen daran, dass das Leben gefährlich ist. Alles fliesst eben und ist im stetigen Wandel begriffen. Sicherheiten sind eingebildet, alle fortschrittlichen Veränderungen haben ihre Kehrseiten. Die Kehrseite der Frauenbefreiung gerät zunehmend ins Blickfeld. Man kann das Übel nicht mit Waffen bekämpfen. Nur Frauen könnten es aufheben, nur sie für Tröstung sorgen. Eine neue Situation, auch für die Frauen. Wenn sie es nur endlich merken würden.

Ja, es ist so, die Feinde der Frauenemanzipation haben recht: die Frauenemanzipation zerstört die bürgerliche und die proletarische und auch noch die Reste der feudalen Kleinfamilie. Frauenbefreiung bedeutet weniger Kinder. Sollte es die heile Familie noch irgendwo geben, dann ist sie im Verschwinden begriffen. Das kann man bedauern, denn sie hatte und hat bisweilen noch ihre schönen Seiten und etwas annähernd Vergleichbares, nur Besseres ist nicht in Sicht. Die Familie hat unsere Sitten und Gebräuche bestimmt, fast alles, was wir heute geradezu für Natur halten. Die westliche, christliche, bürgerliche Familie hat lange die Lebensstrukturen der ihr angehörenden oder unterworfenen Völker gewährleistet.
Sie tut das heute immer noch, aber nicht mehr selbstverständlich. Hausmusik und Sonntagsspaziergänge und verlässliche, vielleicht ungeliebte Verwandtschaft, Elternschlafzimer, Kontinuität, Sicherheiten, auch in gehassten Formen. Jeder Fortschritt hat seine dunkle Rückseite, die sich erst langsam zur Kenntlichkeit entwickelt. Es ist wie mit der friedlichen Atomkraft.
Das Konstrukt bröckelt. Frauen haben dieses Konstrukt mit ihrer Rechtlosigkeit und Abhängigkeit gewährleistet und aufrechterhalten. Jetzt sind sie nicht mehr rechtlos und zahlen den Preis nicht mehr. Es wird andere Formen der Währung geben müssen. Frauen jedenfalls befinden sich unausgesprochen und einzeln und in grösser werdender Zahl im Gebärstreik.
Das hat unmittelbare und spürbare Folgen für das Kollektiv. Nur dass die so handelnden Frauen wenig Bewusstsein davon haben, dass sie kollektiv handeln und als bewusstes Kollektiv auch Macht haben könnten. Noch haben sie das nicht. Noch nicht. Obwohl selbst hartgesottene Antifeministinnen sich diesem kollektiven Handeln schon angeschlossen haben. Ja, gerade sie bilden die Speerspitze dieses Handelns.
Interessanterweise läuft diese Debatte in der Öffentlichkeit ja fast ohne Frauen ab. Die Männerpresse, vor allem der SPIEGEL, die FAZ usw., erkennt wohl, dass „Kinder und Karriere“ für Frauen ausserordentlich schwer zu vereinbaren sind und darum setzen sich auch Männer inzwischen für Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen ein und die CDU hat ihre jahrzehntelang aktiv praktizierte Familienpolitik (Mutter ins Haus und dafür Gastarbeiter ins Land hinein und zwar mit dieser Begründung, während andere Länder in öffentliche Kindereinrichtungen investiert haben, damit Frauen berufstätig werden können ) vollkommen verlassen. Aber wichtige Gesichtspunkte, um die Gründe für den Gebärstreik überhaupt zu erfassen, fehlen in dieser Männerdebatte.
Frauen sprechen normalerweise nicht nur dezidiert von „Karriere“, obwohl sie das natürlich auch tun und Grund genug dazu haben. Sie äussern sich sowohl diffuser als auch vielfältiger. Viele sagen z.B. , dass es gar nicht leicht ist, sich vom Kleinmädchenwunsch nach sechs Kindern vollkommen zu trennen und bei Null Kind zu landen. Viele hätten gerne Kinder. Es macht sie traurig, ihre Potenz nicht anzuwenden. Aber sie sind realistisch genug, nicht zwei Leben ruinieren zu wollen. Sie verweisen auf ihre begrenzten Kapazitäten, aber sie verweisen auch auf etwas, was vollkommen untergegangen ist in der bisherigen Diskussion:
Ihnen vergeht ganz einfach die LUST. Und das nicht nur, weil sie immer nur an sich denken und durchaus wach durch die Gegend laufen und die potentiellen Väter beobachten, angefangenen von gewalttätigen Schülern – sondern weil sie dabei auch an die potentiellen Kinder denken und, dank Frauenbefreiung, Verantwortung nicht mehr delegieren: Sie sagen: SO nicht. Diese globalisierte Welt ist gefährlich. Sie ist destruktiv. Ich kann die Verantwortung nicht tragen, ich kann das Kind nicht wirklich beschützen. Ich kann ihm keine Stabilität bieten. Keine Sicherheit, kein vielfältiges Beziehungsnetz, keine geschützten Orte, nicht die frühere Selbstverständlichkeit, anderen Kindern nahe zu sein.
Wer den Kindermangel beklagt, möge in Vorleistung gehen. Behandelt Konflikte nicht mit Waffen, Zäunen, Bomben, Militär. Denkt Euch was anderes aus. Zeigt, dass Ihr gewillt seid, mit Verstand und Gefühl auf eine Kinderwelt einzugehen. Kein Terrorist, der die Welt besser bomben will, hat je über Kinder gesprochen, aber auch kein Waffenfabrikant und Forscher an Vernichtungsmitteln.
(„Deiner Puppe ist es schnuppe, ob die Rentenkasse stimmt. Das Leben ist eben gefährlich, seien wir doch ehrlich, mit und ohne Kind. Macht ihr eure Waffenlobby, ich such mir ein neues Hobby.
Mag ich auch drüber traurig sein, dass ich nicht werde ein Mütterlein fein, in diese Welt soll kein Kind rein.“

Aufgeschnappte Kalauer)
Und darum reagieren Feministinnen und Gleichgültige und Antifeministinnen im gebärfähigen Alter alle ähnlich. Man kann davon ausgehen, dass sich jede Frau, die kein Kind hat, mehr mit der Frage befasst hat, als viele Männer, die Väter sind, ohne sich um die Kinder zu kümmern.
Sie wollen so nicht weiter, weder für sich noch für die Kinder.
Es sind nämlich Frauen, nicht Männer, die immer wieder initiativ mit anderen Modellen experimentieren und versuchen, andere Beziehungen zu etablieren, weil sie fühlen, dass die alten Strukturen ihre Überzeugungskraft verlieren. Das ist schwer und zu bedauern und neue Versuche scheitern meist (Obwohl Wohngemeinschaften nach den Kommuneexperimenten heute anerkannte Wohnformen sind). Aber Familien scheitern eben langfristig auch. Kein Grund also zur Häme. Es sind hauptsächlich Frauen, die darauf hinweisen, dass die Welt schon andere Modelle des Zusammenlebens gesehen hat. Ganz sympathisch, wenn auch heute nicht mehr praktizierbar war z.b. das weitverbreitete folgende Modell (was schon deshalb nicht mehr geht, weil die Frauen kaum mehr Brüder haben): der Bruder war die männliche Bezugsperson für die Kinder seiner Schwester. Die Frau hatte soziale Verantwortung, die nicht an den Vater der Kinder geknüpft war. Sexuell konnte die Frau machen, was sie wollte. In bestimmten Gegenden war das die Vorstellung von Familie und wurde Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende so praktiziert. Die ganze bisherige Geschichte ist ein ewiges Familien-Experimentierfeld, abhängig von vielen Faktoren, mehr und oft weniger ausgewogen und oft genug ungerecht gegen einzelne Gruppen.
Neue Formen des Zusammenlebens brauchen Faktoren, die unsere traditionelle Familie nicht mehr bieten kann: Stabilität für kindliche Beziehungen, Mobilität im Arbeitsleben und auch bei Frauen Flexibilität im Sexualleben.
Darüber sollte diskutiert und in diese Modelle sollte wie bei der Solarenergie investiert werden, anstatt immer wieder die alte Familie neu zu beschwören und an die Väter zu appellieren, dass sie auch mal dem Kind was vorlesen.
Und die Frauen haben keinen Grund, sich ins Bockshorn jagen zu lassen oder sich gar schuldig zu fühlen, wenn sie der Forderung nach Vermehrung nicht nachkommen.
Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass erworbene Rechte auch verteidigt werden müssen. Sie können auch genommen werden, wenn man nicht aufpasst.
Es gibt durchaus Tendenzen bei den vereinigten Angsthasen, die Gebärpflicht einzuführen, den Zugang zu Verhütungsmitteln zu beschränken und Abtreibungsverbote rigoros durchzusetzen. Noch vor 16 Jahren mussten bei Ceausescu Frauen Kinder kriegen und Abtreibung war bei hohen Strafen verboten. Und das in einem Land, dass sich wenigstens formal auf die Frauenbefreiung der Sozialisten berief. Ideologien lassen sich ändern und werden zum Machterhalt auch immer eingesetzt.
Immer dran denken:
Es gibt kein Grundrecht auf Geschlechterfrieden!
Helke Sander, 6.4.2006